Dye Water Blues
Das Geschäft läuft für die Weberin June so gut wie nie: Kleine Mode-Label bestellen custom Tartan-Stoffe und ihre selbstgefärbte Wolle ist der Renner, sowohl auf dem lokalen Stoffmarkt als auch im Internet. Doch ihr Cousin hat eigene Vorstellungen von lukrativen Geschäften und die Lynch-Brüder haben es auf Junes Schafherde abgesehen. Die allerdings hat noch ihren ganz eigenen Kopf. Schaf Baahbara und Kater Milk haben einen Plan zur Rettung ihrer kleinen Idylle am Fuße der Lammermuir Hills.
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Tintenblau prangte die Scheune vor dem sattblauen Himmel. Hinter ihr erhoben sich die Lammermuir Hills, ein Stück weiter rechts machte der Lauf des Dye Water einen kleinen Schlenker. Schäfchenwolken sprangen im Trab landeinwärts über das Dach. Ein Tag zum Niederknien – und das hatte Gordon auch getan. Baahbara und Milk hatten es genau gesehen. Gekniet hatte er und dann gelegen. An einem windigen Tag, bevor der Frühling die Hecke und die Beete färbt. Das Blau seiner Lippen passte so gar nicht zum Blau von Himmel und Scheune, wohl aber zum stahlblauen SUV, der gerade den schmalen Weg zwischen trockenem Gras und niedrigen Büschen heraufkroch.
Alles hatte mit einem Sprung in der einfachen Glasscheibe der blauen Scheune zwei Tage zuvor begonnen. Baahbara hätte schwören können, der kam von dem fürchterlichen Streit zwischen June und Gordon nebenan im Haus. Es klirrte schon zum zweiten Mal. Baahbara schlackerte mit den Ohren, als der weiße Kater Milk in die Scheune stürmte.
»Das war der Milchtopf. Der Milch-Topf!« Das weiße Fell schien vor Aufregung das dreifache Volumen angenommen zu haben.
»Worum geht es überhaupt?«
»Um irgendwen, dem Gordon was versprochen hat, wovon June gar nichts hält.«
Baahbara dachte nach. June gab ihnen immer am Sonntag, wenn sie aus der Kirche kam, Heublumen und blieb dann den restlichen Vormittag über bei ihnen. »Sie ist schon zwei Heublumenfutter nicht bei uns in der Scheune geblieben. Und vorgelesen hat sie uns auch schon lange nicht mehr.«
»Oder uns gezeigt, wie schön bunt sie unsere Wolle gefärbt hat«, ergänzte Polly, die zwischen den Wolken aus Weiß eine graubraune Strähne besaß.
Milk tänzelte auf dem Gatter hin und her. »Ich habe sie drüben im Haus schon lange nicht mehr am Webstuhl gesehen. Aber am Computer.«
»Was macht sie denn da?«
»Weinen.« Der Kater verzog die pelzige Schnute.
Baahbaras Ohren hoben sich. »Dieser Computer scheint ihr nicht gutzutun. Wenn sie unsere Wolle spinnt und färbt und webt, dann lacht sie und singt.«
Baahbara nahm den Riegel des Gatters ins Maul und öffnete es. Sie hatte June nie verraten, dass sie das konnte. Die glaubte bis heute, dass sie die Tür offengelassen hätte. Jedes einzelne Mal. Sie ließ die Weberin in dem Glauben, brachte es doch erhebliche Freiheit, jederzeit aus der Scheune auf die Wiese zu können. Milk sprang vom Gatter herunter und lief hinter Baahbara her.
Sie trabten über die Wiese zum Haus, das im fahlen Licht des schwindenden Tages seltsam blass aussah, obwohl es neben der tintenblauen Scheune sonst in hellem Bläulichgrün erstrahlte. Nicht saftig grün wie frischer Klee, eher als würde heller Himmel mit Sommerwiesengrün zusammenfließen.
Baahbara näherte sich dem Fenster, hinter dem Junes kleiner Schreibtisch stand. Der sei Teil ihrer Arbeit, genauso wie die Bottiche zum Waschen und Färben der Wolle, das Spinnrad und der Webstuhl, hatte sie ihnen erklärt. Jetzt saß sie am Computer und sah so blass aus wie das Haus und ähnlich grünlich. Sie vergrub das Gesicht in den Händen.
Baahbara und Milk trippelten im Februargras auf der Stelle. Sie hörten, wie die Eingangstür zuknallte, dann Schritte auf harter Erde, das Starten eines Motors. Baahbaras Ohren zuckten. Milk nahm die Abkürzung zur Auffahrt und kam kurz darauf wieder zurück, als das Motorengeräusch leiser wurde und in Richtung Longformacus verschwand.
»Gordon ist weggefahren«, sagte er.
»Und ich habe eine Idee.«
Die beiden liefen zurück zur Scheune. Der Abendwind trug die Seeluft über die Scottish Borders bis zu ihnen ins Land. June sagte, das Meer sei fünfzehn Kilometer entfernt. Baahbara wusste nicht, wie weit das war, aber an Tagen wie diesem schien das Wasser näherzukommen.
Sie rief die Herde zusammen. »Wir müssen June helfen. Irgendwas ist los, aber wir wissen nicht, was. Wenn wir sie herlocken, erzählt sie es uns vielleicht. Also, alle Lärm machen, damit sie kommt und nachsieht!«
Alle begannen zu blöken, so laut sie nur konnten.
Milk lief hinaus vor das Scheunentor. Es dauerte eine Weile, dann rief er: »Es funktioniert! Sie kommt!«
Als June die Scheune betrat, tänzelte Milk um ihre Beine, dirigierte sie zu einem Strohballen. Sie ließ sich darauf fallen und atmete tief durch. Ihre Augen waren verquollen und rot.
»Erzähl uns von deinen Sorgen, Juniper.« Baahbara schaute die Zweibeinerin aufmunternd an. Sie wusste, dass diese sie nie wörtlich verstand, aber doch genug, dass sie sich meist gut unterhalten konnten.
»Ach, ihr seid so lieb.« June lief eine Träne über die Wange.
Milk sprang auf Junes Schoß, rollte sich ein. »Erzähl schon«, schnurrte er und legte eine Pfote auf ihre Hand.
»Ich werde euch so furchtbar vermissen.«
Baahbaras Ohren schlackerten. Sie musste sich verhört haben.
Auch Milk schien sich beim Schnurren verschluckt zu haben. »Vermissen?«, fragte er ganz ohne Schnurren und tapste mit seiner Pfote gegen Junes Unterarm.
June zog die Nase hoch. »Ihr seid wie eine Familie für mich, aber Gordon sieht nur das Geld.« Sie schüttelte den Kopf. »Er will die Farm samt Weberei verkaufen. Es mache alles keinen Sinn, viel zu unrentabel so klein, und obendrein alles Handarbeit, sagt er.« Sie schaute auf ihre Hände, ließ sie wieder in den Schoß sinken.
Die ganze Herde hatte sich in der Mitte der Scheune um sie versammelt und hörte aufmerksam zu.
Milk begann wieder zu schnurren.
»Dabei läuft das Geschäft so gut wie noch nie. Wir haben Anfragen aus der ganzen Welt. Ich könnte jede Woche zig Stränge gesponnenes und gefärbtes Garn verkaufen und dreißig Meter Stoff. Keine traditionellen Tartans für die Clans, nein, ganz tolle individuelle mit außergewöhnlichen Mustern und Farben. Und die meisten wollen immer wieder neue haben. Kleine Indie-Mode-Labels, die unsere handgewebten Stoffe für ihre Kollektionen verwenden …« June seufzte tief, stützte die Ellenbogen auf die Knie.
Milk stupste mit seiner Pfote gegen ihren Oberarm. »Das klingt doch gut. Was ist denn das Problem?«
»Aber das passt meinem feinen Herrn Großcousin nicht. Dem ist es ein Dorn im Auge, dass alle Tartans haben können. Auch wenn es natürlich nicht die geschützten Muster der Clans sind. Wenn es nach ihm ginge, wäre dem Rest der Welt jedes einzelne Karomuster verboten.«
Baahbara und Polly legten die Köpfe schief, ihre Hörner stießen dabei aneinander.
»Da ist er sich mit den Lynch-Brüdern einig: Schottland den Schotten. Und die anderen Stoffe, die verkaufen die Gebrüder Halsabschneider teuer in die ganze Welt. Stellt euch vor: Wenn es nach Gordon ginge, sollen die alles hier kriegen. Und euch gleich mit. Auf eure weiche Wolle sind sie besonders scharf. Northumberland Blackface, da kriegen sie gutes Geld dafür.«
Die Herde rückte näher an June heran.
»Das Land, euch Schafe und natürlich meine Färberezepte und den Webstuhl, den mein Großvater gebaut hat. Alles …«
Baahbaras Augen wurden schmal. »Das wird er nicht wagen …«
»Vorhin hat er die Lynch-Brüder angerufen. Hat den Deal klargemacht. Ich habe noch zwei Tage, dann wird der Vertrag unterzeichnet. Gleich hier.«
Milk setzte sich auf Junes Schoß auf.
»Dann wird unsere kleine Welt Teil von deren Weberei-Imperium. Eure Wolle wird einer vollautomatisierten Produktion mit computergesteuerten Webstühlen in großen Hallen zugeführt, zusammen mit der von tausenden anderen Schafen. Das geht alles viel schneller, als ich je arbeiten könnte.«
»Aber wer will denn das?«, blökte Baahbara empört.
»Kann Gordon denn überhaupt alles verkaufen?« Milk trippelte auf Junes Schoß.
»Ich wünschte, mein Großvater wäre nicht so früh gestorben. Die ganze Farm ging an seinen Bruder und von dem weiter an Gordon und der kann jetzt damit tun und lassen, was er will …« Sie schluchzte auf.
»Das ist ja furchtbar«, hauchte Polly.
»Der ist fein raus, mein Herr Großcousin. Selber keinen Finger rühren, nur zweimal die Woche kontrollieren kommen und kassieren. So ein furchtbarer Mensch! Kein Wunder, dass der nie eine Frau abbekommen hat. Wenn mir die Farm gehören würde, sähe das alles anders aus.«
Baahbara und Milk tauschten Blicke.
»Wie war das bei den Zweibeinern noch mal? Wenn jemand stirbt, dann gehen dessen Besitztümer an die Familie, oder?«, fragte Milk.
»So habe ich das verstanden.« Baahbara blinzelte.
»Und Gordon hat keine Familie …«
»Außer June …«
»Worauf wollt ihr hinaus?«, fragte Polly.
»Tot umfallen sollte er«, murmelte June. »Am besten vor dem Termin zur Vertragsunterzeichnung übermorgen. Aber so viel Glück werde ich wohl nicht haben. Was soll nur aus mir werden, wenn ich euch nicht mehr habe?«
»Es darf nicht so weit kommen, dass die Farm verkauft wird«, beschloss Baahbara.
»Wie willst du das denn innerhalb von zwei Tagen anstellen?«, fragte Milk.
Baahbaras Blick fiel auf das Seil, das an einem der Scheunen-Balken an einem Nagel hing.
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