Stinkende Fische
Die Hacktivistin Mij geht in ihrer Freizeit Bösewichten im Internet nach. Für ihr aktuelles „side-project“ braucht sie Informationen und Hilfe eines Insiders. Eine Frage von persönlichen Agenden und Moral.
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Naomi Jakobson, kurz Mij, stand von ihrem ergonomisch geformten Schreibtischstuhl im Rennwagen-Design auf und ging in die Küche. Gleich sollte die Tiefkühlpizza fertig sein. Der Küchenwecker in Muffinform tickte dem Ende der Backzeit entgegen. Anton war aufgewacht und tapste um sie herum. Das schwarze, zottelige Fell strich um ihre dürren Unterschenkel. Dann gähnte er ausgiebig, wobei die lange Zunge aus der grau gewordenen Schnauze hing. Mij lächelte. »Na, alter Freund ?« Sie griff zur Schachtel, schüttete ein paar Trockenfutter-Brocken in ihre Hand und hielt sie dem pelzigen Gefährten hin. Mit langsamem Schwanzwedeln machte der sich über die Leckerli her, just als der Wecker klingelte. Anton zuckte kurz. Mij warf die restlichen Brocken in den Napf und machte sich im Chaos der unaufgeräumten Küche auf die Suche nach den Topflappen. Sie fand sie auf dem Kühlschrank, fischte die Pizza aus dem Ofen und schnitt sie gleich in der Küche in acht Teile: Spinatpizza »auf die Faust«, wie damals als Kind die Mortadella an der Fleischtheke im Supermarkt ? und wie fast immer, wenn sie nicht ins Büro musste und dort in der Kantine aß. Schon allein der Kaffee war zu Hause besser. Aber was ist schon gut in einem Großraumbüro, in dem die Programmierer wie in einer Legebatterie gehalten werden? Wie oft hatte sie in den letzten Jahren darüber nachgedacht, den Job zu kündigen? Sie hatte aufgehört zu zählen. Blöderweise zahlten sie gut, wie die meisten Konzerne. Für Mij war es »Schmerzensgeld«. Spaß fand sie nur in dem, was sie nicht für die Arbeit oder gar im Büro tun musste.
Ihr letztes Freizeitprojekt war in der Community gut angekommen. Im Monat zuvor hatte sie eine Casino-Kette hops gehen lassen. Mij hatte einige Wochen zuvor deren höchst unverfrorene Werbeanzeigen entdeckt. Arme Schlucker, die täglich ihr Geld verspielten, wurden durch miese Psychotricks auf die Webseite gelockt und ihnen dort das Geld erbarmungslos und systematisch aus der Tasche gezogen. Obendrein ihre Profile und alle Informationen, die die Plattform mit einer ganzen Armada von Trackern und weiteren Spionageprogrammen über die Spielsüchtigen herausfand, ausgewertet und verkauft. Nicht zuletzt an Banken und Versicherungen. Je mehr Stunden die armen Kerle am Tag auf der Webseite zubrachten, umso lukrativer für die. ? Wichser.
Mij hatte sich einen Benutzeraccount geklickt, einige Zeit auf der Online-Plattform der Kette gespielt und sich umgesehen. Neben der systematischen Psycho-Manipulation fand sie eine ganze Reihe von Sicherheitslücken, die sie ordentlich dokumentierte und die Betreiber schließlich damit konfrontierte; anonym versteht sich. Diese reagierten auf ihre Hinweise dazu erwartungsgemäß: Nicht. Also gar nicht. Sie ließ es auf ein Responsible Disclosure Verfahren hinauslaufen. Das hieß, sie gab ihnen zwei Monate Zeit, die Lücken zu schließen, ehe all ihre gesammelten Informationen direkt an die Presse gingen. Auch die Datenschutz-Anfrage zu ihrem Nutzerprofil beantworteten die Betreiber nicht ordentlich und damit war die zeitlich zur Presseveröffentlichung abgepasste Meldung an die zuständige Datenschutzbehörde ein Kinderspiel. Sie liebte es, wenn ein Plan funktionierte. Eine weitere Gruppe von Arschlöchern verschwand aus dem Netz; zumindest mit diese eine Webseite. Für eine Weile.
Ihr aktuelles Projekt spielte in einer ganz anderen Liga. Aber die Chancen waren enorm, damit einen wirklich großen Coup zu landen, auch wenn sie die Lorbeeren dafür aller Voraussicht nach nie einheimsen können würde.
Mij strich langsam mit den Fingerkuppen über das in ihre Tastatur integrierte Touchpad. Die Fingernägel machten ein leises schabendes Geräusch. Sie scrollte durch den Ordner mit Informationen, die sie seit dem Tipp aus der Community vor einigen Wochen zusammengetragen hatte. Die HackerInnen und DatenschutzaktivistInnen tauschten sich üblicherweise eng und häufig miteinander aus. Diesmal war es ein Hinweis, sich mit einem Zusammenschluss einiger Produktionsbetriebe in Deutschland zu beschäftigen. Tatsächlich musste Mij nicht lange suchen, deren Kooperation war öffentlich bekannt. Inklusive Pressebericht und Foto der jeweiligen Chefetagen ? allesamt weiß, männlich, 45 plus, in dunklen Anzügen, Schlips und weißen Hemden. Würstchenparty. Als wäre das nicht enttäuschend genug, fand Mij nach etwas Recherche, weswegen sie wohl den Tipp bekommen hatte: Alle Betriebe hatten als Produktionsstätten hohe Auflagen zum Grundwasserschutz. Aber offenbar waren ihnen diese recht egal, wenn es darum ging, ihren Dreck gratis in die Natur zu entsorgen. Mij recherchierte weiter und fand einige Firmen, die diesem Ring nicht angehörten und sie alle hatten gute Noten in Umweltschutz und gaben einen beträchtlichen Teil ihres Umsatzes dafür aus, die Standards zu übertreffen. Die Ringmitglieder »lobbyierten« hingegen großzügig bei Stadtverwaltungen und Landkreisen.
Mij war entschlossen, der Sache ein Ende zu setzen. Allerdings brauchte sie diesmal Hilfe von außen. Sie kramte in ihren Notizen nach dem Kontakt eines Programmierers, der sich mit Software für Produktionsbetriebe auskannte und ihr vielleicht helfen würde. Sie brauchte Informationen, möglicherweise sogar eine kleine Software-Modifikation. Mij hatte eine echte Reputation in der Community und hoffte, dass das reichen würde.
An der Nachricht feilte sie ganze drei Tage: »Hallo devil64, ich bin?s Mij. Ich brauche deine Hilfe, um eine gemeine Umweltsauerei auffliegen zu lassen.« Sie umriss knapp, was sie herausgefunden hatte. Ihr war wichtig, dass klar wurde, dass es um gravierende Schäden und Menschenleben ging. »Soweit ich weiß, bist du mit der Verwaltungssoftware warehousemngr14 vertraut. Was ich von den Systemen gesehen habe, wird sie von allen betroffenen Unternehmen genutzt. Hättest du einige Informationen für mich?«
Sie schickte die Nachricht mit einer anonymen Einmal-Mailadresse und binnen weniger Stunden erhielt sie eine ebenfalls anonyme Antwort auf die angegebene Antwortadresse. devil64 schrieb knapp und sachlich, ohne Anrede vorne oder Gruß am Ende. Die Informationen kopierte sie in ein passwortgeschütztes Textdokument auf ihrem Rechner. Sie sollte noch zehn Tage warten. In der Zeit würde ein angekündigtes Update der Software ausgespielt werden. Nach Ablauf dieser Frist sollte das Update in allen Unternehmen des Rings durch sein.
Mij wartete die angegebenen zehn Tage ab, dann startete sie ihren Angriff.
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#Hacker #Malware #SciFi #Trojaner #Hacktivismus