Das Buch zur Ausstellung
DigiDic ? Anleitung zur digitalen Selbstverteidigung
Veröffentlichungsdatum: 30.11.2022
Gegenüber den vielfältigen Problemen im Digitalen ist es nur menschlich, sich überwältigt und machtlos zu fühlen. Doch man muss nicht einen Weltkonzern eigenhändig zerschlagen, um selbst etwas Sinnvolles zu tun.
Digitale Selbstverteidigung ist für euch, weil ihr wisst, dass jede:r von uns etwas zu verbergen und ein Recht auf die eigene Privatsphäre hat. Und damit helft ihr nicht nur euch selbst, sondern auch euren Familien und euren Freunden. Denn digitale Selbstverteidigung ist auch ein Teamsport.
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Leseprobe
Vorwort: Digitale Selbstverteidigung
Gegenüber den vielfältigen Problemen im Digitalen ist es nur menschlich, sich überwältigt und machtlos zu fühlen. Doch man muss nicht einen Weltkonzern eigenhändig zerschlagen, um selbst etwas Sinnvolles zu tun.
Digitale Selbstverteidigung ist für euch, weil ihr wisst, dass jede:r von uns etwas zu verbergen und ein Recht auf die eigene Privatsphäre hat. Und damit helft ihr nicht nur euch selbst, sondern auch euren Familien und euren Freunden. Denn digitale Selbstverteidigung ist auch ein Teamsport.
Wo wir uns im physischen Leben gegen Raub, sexuelle Belästigung, gewalttätige Betrunkene usw. wappnen, ist es im Netz undurchsichtiger, wer die Akteur:innen und was die tatsächlichen Bedrohungen sind.
Bei digitaler Selbstverteidigung geht es darum, den Blick zu schärfen, wo es im Digitalen brenzlig werden kann.
Damit ihr wisst, was ihr tun könnt, bekommt ihr einen praktischen Leitfaden an die Hand, damit es erst gar nicht kritisch wird.
Dabei ist dieses Buch als Einstiegslektüre gedacht und geht nicht in allen Bereichen weit in die Tiefe. Wir zeigen euch, an welchen Stellen ihr weiter recherchieren könnt.
Wie im physischen Leben braucht alles Zeit und Übung und geht nicht von heute auf morgen. Manches aus dem Leitfaden werdet ihr sofort umsetzen können, Anderes in ein paar Wochen oder erst in einem Jahr.
Wichtig ist, bewusster mit dem Netz und den unterschiedlichen Akteur:innen umzugehen. Und wenn ihr bis hier gelesen habt, habt ihr den ersten Schritt schon getan.
Vertrauen
Wir vertrauen täglich verschiedenen Akteur:innen: Familie und Freund:innen, den Verkehrsbetrieben, den Anbietern unserer Kommunikationsdienste und Geräte, dem Staat und den politischen Entscheidungsträger:innen, den Hersteller:innen unserer Kleider und den Menschen in unserem Umfeld. Ohne Vertrauen würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Wir lernen üblicherweise in jungen Jahren Vertrauen in uns bekannte Menschen. Fremden gegenüber muss Vertrauen erst wachsen. Verspielt ist es aber in Sekunden.
Vertrauen ist nicht nur zentraler Baustein menschlichen Zusammenlebens, sondern auch die Grundwährung im Internet, eine geldwerte Handelsware.
Vertrauen im digitalen Kontext hat unterschiedliche Ebenen.
Vertrauen in Plattformen und deren User:innen
Wir haben Vertrauen, dass die Anbieter sich sorgfältig um die Programme, Messenger, Plattformen und Dienste kümmern und z. B. keine Unbefugten einfach mitlesen können. Wir posten Bilder im Vertrauen, dass sie auf der Plattform bleiben und unsere Follower:innen sie nicht als ihre eigenen ausgeben, speichern, verändern, Deepfakes daraus erstellen oder anderweitig weiterverwenden.
Vertrauenswürdige Quellen
Vertrauenswürdige Quellen sind z. B. Stiftung Warentest und unabhängige Medien oder auch Einzelpersonen, die als Expert:innen für ihr Fachgebiet bekannt sind. Wir vertrauen auf ihren guten Ruf, die redliche Recherche und ihr unbefangenes, auf aktuellem Wissen fußendes Urteil.
Ein guter Hinweis, dass Vertrauen in Informationen gerechtfertigt ist, ist ein Blick auf die Finanzierung von Studien oder dem Medienhaus, durch das Informationen veröffentlicht werden. Das alte Sprichwort »Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing« trifft auch im Internet zu. Wenn nicht ersichtlich ist, wer eine Studie beauftragt, bezahlt oder wer sie durchgeführt hat, sind Skepsis und Faktenchecks angebracht. Und nur, weil eine Person in einem Bereich berühmt ist, heißt das nicht, dass sie sich auch in anderen Bereichen gut auskennt.
Vertrauen in Freunde und Bekannte
Wenn jemand, den wir kennen, uns einen Rat gibt, wiegt dieser meist schwerer als ein Rat aus einer uns unbekannten Quelle. Oft genug treffen wir intuitive Entscheidungen für oder gegen etwas auf Basis unseres Vertrauensverhältnisses zu den Ratgebenden. In Situationen, in denen es schnell gehen soll, sind selten gut fundierte Recherchen vertrauenswürdiger Quellen ausschlaggebend.
Ein Offline-Beispiel: Eine Person menstruiert zum ersten Mal und hat jetzt das konkrete Problem. Sie geht in einen Drogeriemarkt und steht vor dem Regal. In dieser Situation vertrauet sie auf das, was sie a) von zu Hause kennt, b) was eine befreundete Person empfiehlt oder c) was die ansprechendste Verpackung hat. Für die spontane Kaufentscheidung ist so gut wie nie ausschlaggebend, welches Produkt nachhaltig, unparfümiert oder plastikfrei ist. Erst viel später setzen wir uns ? wenn überhaupt ? mit den Hintergründen dessen auseinander, was wir verwenden.
Genauso verfahren wir üblicherweise auch bei Anbietern für E-Mail, Cloud-Office etc. Wir vertrauen dem »guten Tipp«, statt uns selbst mit den ethischen, politischen, sozialen und ökologischen Hintergründen einzelner Lösungen auseinander zu setzen.
Vertrauen und Internetkriminalität
E-Mails oder Social-Media-Posts von Menschen, die wir kennen, haben einen Vertrauensvorschuss, weil sie für uns aus einer subjektiv verlässlichen Quelle kommen. Das macht beides zu einem lukrativen Angriffsziel für Kriminelle und Verbreiter:innen von Fakenews, weil wir dazu neigen, die Inhalte zu glauben und weiterzuverteilen. So bedienen wir selbst das Schneeballsystem. Wir dienen als Sprungbrett, wenn unser Name und unsere E-Mail-Adresse als Absender zum Beispiel in Phishing-Mails stehen. Menschen öffnen sie im guten Glauben, eine Nachricht von uns zu erhalten. Stattdessen laden sie sich dadurch eine Malware auf ihr Gerät und werden Minuten später Opfer von Erpresser:innen. Woher die Kriminellen unsere Namen und Mailadressen haben? Aus den zahlreichen Datenlecks, bei denen Internetplattformen, Shops oder Spieleseiten ihre Kundendatenbank an Kriminelle verlieren.
Don?t
Vertraut nicht blindlings den Anbietern eurer Apps und Plattformen. Und auch nicht auf alles, was Freunde und Verwandte sagen oder posten. Wir irren uns alle. Jeden Tag.
Do
Überlegt bei allem, was ihr nutzt, welche Interessen der Anbieter dahinter stehen. Lest euch die AGB und Datenschutzerkläungen durch, auch wenn es mühsam ist. Seid euch bewusst, dass viele Anbieter euch und eure Entscheidungen zu ihren Gunsten oder denen zahlungskräftiger Unternehmen manipulieren.
Versprechen
Ewige Liebe, schlanke Taille, ethische Datenverarbeitung; Uns wird etwas versprochen und unser Vertrauensmechanismus damit ausgelöst. Im persönlichen Umfeld können wir noch einschätzen, ob Versprochenes auch gehalten wird. Bei allem anderen müssen wir entweder selbst recherchieren, uns auf eine vertrauenswürdige Quelle verlassen oder einfach glauben, dass wir nicht angelogen werden.
Als soziale Wesen sind wir geneigt, Versprechen zu glauben. Sie geben uns ein gutes Gefühl, das wir gleichsetzen mit »Sicherheit«.
Alles ist so leicht und einfach
Die vielen bunten Oberflächen, die unsere digitale Alltagswelt ausmachen, gaukeln uns dieses Gefühl vor, ihre Mechanismen sind aber alles andere als selbsterklärend. Das ist generationsübergreifend gleich. Der »Digital Native« ist ein Mythos, der durch nichts belegt ist. Junge Menschen verwenden das heute Vorhandene selbstverständlicher, Funktion und Auswirkungen verstehen sie deshalb aber längst nicht besser.
Unser großes Problem
Werbeindustrie und Konzerne investieren laufend Milliarden, um herauszufinden, wie wir denken, Entscheidungen treffen, klicken, uns on- und offline bewegen und wie unsere Aufmerksamkeit möglichst lang gebunden werden kann. Unsere Hirnfunktionen werden zur Profitmaximierung gegen uns eingesetzt.
Die großen Versprechen ? Werbung
Werbung mit ihren bunten Bildern wird gern verharmlost. Dabei gehen wir von der Annahme aus, Werbung funktioniere im Netz genauso wie bei Werbe-Prospekten. Doch nur selten geht es um wirkliche Lösungen. In den meisten Fällen wird das Problem durch die Werbung erst kreiert. Letztlich geht es fast immer um unser Geld. »Zwei plus eins gratis« ist nicht sparen; Sparen ist, gar keins davon zu kaufen.
Werbung ist schon seit vielen Jahren deutlich perfider geworden. Sammeln und Ausnutzen der über uns bekannten Informationen gehen Hand in Hand, online wie offline. »Crossmedia Advertising« ist das Marketing-Fachwort dazu. Über verschiedene Medien hinweg: Werbe-E-Mail, Bushaltestelle, Magazine und Social-Media-Posts können Teil einer einzigen Kampagne sein.
Wenn wir oft genug Werbebotschaften sehen oder hören, werden wir mit ihnen vertraut. Irgendwann werden sie normal und wir glauben sie.
Genau darum geht es bei Werbung. Die Werbeindustrie weiß genau, wie lange unser Gehirn braucht, um den Wechsel des Deos in Betracht zu ziehen oder einer anderen politischen Richtung zu folgen. Daher gibt es sich immer weiter aufbauende und zuspitzende Kampagnen, die über Wochen und Monate laufen. Ziel ist die für uns unmerkliche Veränderung unserer Wahrnehmung und unseres Verhaltens. Das ist das Produkt, für das viele Milliarden bezahlt werden. Die Milliarden bekommen sie von uns. Werbung ist nicht gratis, sie kostet unser Geld, dadurch, dass wir Produkte kaufen. Wir werden in das Verhalten hinein manipuliert, das Werbetreibende von uns haben wollen. Im besten Fall kaufen wir ein Paar Schuhe, das wir nicht brauchen und das nicht im Budget ist. Im schlechtesten Fall gehen wir nicht wählen.
Das Bewusstsein dafür, dass wir durch Werbebotschaften aktiv manipuliert werden, hilft uns, vorsichtiger zu sein.
Don?t
Vertraut nicht unhinterfragt dem, was auf Werbetafeln, in Advertorials, also als redaktionelle Inhalte getarnten Werbeanzeigen, oder Social-Media-Posts steht.
Do
Seid skeptisch bei Botschaften, die starke Emotionen in euch auslösen. Diese sollen euch in ein bestimmtes Verhalten bringen. Die Versprechen haben zum Ziel, an unser Geld zu kommen oder unsere Meinung zu beeinflussen. Seid achtsam bei Inhalten im Netz und bei Werbung allgemein. Lest bei Artikeln oder Social-Media-Posts nach, ob ihr dieselbe Information auch bei z. B. öffentlich-rechtlichen Medien findet. Prüft bei Artikeln, ob ihr es mit Advertorials zu tun habt. Verwendet beim Surfen im Netz grundsätzlich einen Werbeblocker. Dieser blockiert den Großteil der Werbebotschaften. So spart ihr auch noch viel Strom und schont die Umwelt.
Verantwortung
Angesichts des bisher Gelesenen schauen wir erwartungsvoll oder betrübt auf »die Großen«, wenn es um Verantwortung geht. Auf ihnen lastet die große Bürde, unsere Daten mit Argusaugen zu hüten. Das sind die Hersteller unserer Geräte, die ihre Cloud-Lösungen darin fest hinterlegen und uns so ganz automatisch in ihre Systeme ziehen. Es sind die Konzerne, die ihre ethischen Werte vielleicht erst noch finden müssen. Und es sind die Betreiber der sozialen Medien, denen wir unser gesamtes Leben mit allen kleinen und großen Geheimnissen verraten und unsere Kontakte anvertrauen. Sie alle werden fürstlich dafür entlohnt. Nur nicht von uns, sondern von anderen, die für unsere Aufmerksamkeit bezahlen.
Bei all dem empören wir uns zu Recht. Wir sehen, wie Vertrauen missbraucht und Versprechen gebrochen werden. Aber wir haben ebenfalls Verantwortung.
Empowerment
Wir alle tragen Verantwortung uns selbst gegenüber, nicht blind den schönen Versprechen zu vertrauen. Wir tragen zumindest eine Teilschuld, wenn unsere Daten gegen uns verwendet werden. Natürlich haben wir nie gelernt, die Strategien der Werbeindustrie zu hinterfragen. Aber wir haben in der Schule auch nicht gelernt, wie man ein Haushaltsbuch führt und müssen uns trotzdem darum kümmern. Die Verantwortung einzugestehen und zu übernehmen bringt uns in die eigene Wirkmächtigkeit. Das englische »Empowerment« ist ein schönes Wort dafür.
Akzeptieren wir, dass wir Verantwortung tragen, werden uns viele Vorgänge anders vorkommen. Unsere Freizeitgestaltung, unsere Kommunikation, unsere politische Einstellung, unser Kaufverhalten, Suchanfragen, unsere Finanzen, unser Modestil ? Alles ist mit allem verbunden ? auch für Unternehmen wie Google, die das auswerten und die Schlüsse daraus ziehen, welche Werbetreibenden uns was anzeigen sollen. Diese Verknüpfungen zu erkennen, ermöglicht es uns, freie und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.
Die Verantwortung gegenüber Anderen
Andererseits haben wir auch eine Verantwortung gegenüber all denen, die uns vertrauen und von denen wir Daten haben. Sehr offensichtlich ist das bei Bildern, Videos, Geburtsdaten, Nummern und Nachrichten, die wir von anderen gespeichert haben. Nicht ganz so offensichtlich ist es bei unserem Verhalten wie Lesen, Liken, Kommentieren, Nachrichten senden ? Mit allem, was wir tun, geben wir Informationen über uns preis, aber auch über andere und darüber, in welcher Beziehung wir zu ihnen stehen. Wir sind nie allein, wir sind immer in Beziehung zu anderen. Daher sind Datenschutz und Privatsphäre ein Teamsport.
Zur Verantwortung gegenüber Anderen gehört auch, dass wir keine Lügen im Netz posten, keine Fakenews verbreiten und Fakten checken.
Verantwortung als Grundlage demokratischer Gesellschaft
Eine demokratische Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn wir uns aufeinander verlassen können. Wenn es um die politischen Verhältnisse geht, ist unser Dreieck »Vertrauen ? Versprechen ? Verantwortung« zwar etwas anders gelagert, aber das Grundprinzip ist noch immer dasselbe. Wir haben Rechte, aber wir haben auch Pflichten, die wir als Bürger:innen in Demokratien erfüllen sollten. Wählen gehen ist eine Sache, aber Verantwortung übernehmen kann jede:r, auch ohne für ein politisches Amt zu kandidieren. Man kann sich engagieren, indem man Ehrenämter in Vereinen und Organisationen übernimmt, zum Beispiel den in der Ausstellung genannten wie Tactical Tech, CCC e. V., Center for Humane Technology und einige mehr. Wir alle sind soviel stärker, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen.
Don?t
Schiebt nicht alle Verantwortung auf die anderen, auch wenn es schmerzhaft ist, sich der eigenen Verantwortung bewusst zu werden.
Do
Nehmt eure Verantwortung an und werdet euch eurer Selbstwirksamkeit bewusst. Ihr könnt etwas verändern. Für euch selbst, aber auch für andere. Ihr habt Möglichkeiten, Dinge zu bewegen. Informiert euch darüber und nutzt sie.